Ich mag Las Vegas nicht. Jedenfalls war das mein Fazit, nachdem ich zweimal dort war. Ich hatte die Stadt als ziemlich furchtbar abgespeichert. Wie ein überambitionierter Verkäufer, der aufdringlich auf mich einredete und zwanghaft gute Laune verbreiten will. Nichts wie weg!

Las Vegas ist wie ein Gang zum Zahnarzt. Man muss hin, versucht es aber tunlichst zu vermeiden. Die Route ostwärts von Kalifornien in diverse Nationalparks führt durch die Stadt. Die Aussicht auf günstige Unterkünfte lockt einen in die Stadt.

Nicht, dass ich etwas gegen die Versuchungen des Nachtlebens einzuwenden hätte. Ich habe nichts gegen Clubs. Ich komme aus Berlin und habe selbst jahrelang in Läden hinter dem Tresen gestanden und Konzerte und Parties organisiert. Freunde und Bekannte von mir sind immer noch aktiv. Ein Freund, mit dem ich ein Musikprojekt hatte, ist inzwischen Sound Engineer im Berghain.

Allerdings hat dies Art von Club sehr wenig mit überlangen Stretchlimousinen, Türstehern im Anzug und roten VIP-Teppichen zu tun. Sondern eher mit schummrigen Kellern und ehemaligen Industriearealen, die wir als Veranstaltungsort umfunktionierten. Und dieser Stil ist deutlich anders als das, was ich in Las Vegas vorfand.

Las Vegas fühlte sich leer an. Ich blickte auf eine glitzernde Kulisse. Selbst beim ersten Mal als ich dort war, 2008, wurde mir schnell langweilig. Die Häuser wirken wie Pappmaché. Alles ist leer hier. Es blinkt. Aber eigentlich gibt es auch nichts zu tun. Das war jedenfalls mein erster Eindruck, als ich mit einem Bekannten für einen Zwischenstopp und für eine Nacht hier war. Schnell noch einen Kaffee für auf den Weg und dann nichts wie weiter.

Auch beim zweiten Mal in Vegas erging es mir nicht anders. Das “Hostel Cat” warb damit “Preise wie in Mexiko” zu haben und hielt uns beim Einchecken eine verschwörungstheoretische Agenda unter die Nase, nach der Hostel-Booking-Seiten nur Betrüger seien.

Ich hatte Vegas bereits als Totalausfall abgebucht. Aber dann war ich zum dritten Mal dort. Und auf einmal war alles anders. Ich checkte in einem Hostel weit abseits vom Strip ein. In Downtown Las Vegas, in der Fremont Street. Und auf einmal sah ich andere Seiten der Stadt. Ich war mitten in einem Viertel mit alten, verlassenen Hotels und Casinos. Das war fast ziemlich morbide. Etwa das Gables Hostel, an dem die Leuchtreklame schon ziemlich zerfallen aussah. Das Setting wirkte wie Bates Motel aus Alfred Hitchcock´s „Psycho“.

Damit konnte ich etwas anfangen. Dazwischen gab es ganze Blocks, die ungenutzt waren. Und dann wieder Neubauten, die sich mit älteren Häusern abwechseln. Hier wohnen Menschen. Arme. Wohlhabende. Zugezogene. Alteingesessene. Am Strip wohnt dagegen niemand.

Abends kam mir eine Gruppe Rennradfahrer entgegen, die alle Trikots von Zappos trugen. Dem Zalando der USA. Sie radelten in den Sonnenuntergang, nachdem sich die Hitze des Tages langsam verzogen hatte. Dieses Vegas gibt es auch. Die Ecommerce Firma Zappos ist groß in der Stadt vertreten. Und ihr CEO Tony Hsieh investierte $350 Millionen in die Revitalisierung des alten Zentrums mit dem Downtown Project. Kleine Unternehmen werden gefördert; es wurde 2013 der Container Park errichtet, in dem die urbane Mittelschicht und auch Touristen wie ich ihren Latte Macchiato- oder Vinyl-Schallplattenbedarf decken können.

Ob das wirklich das alte Stadtzentrum wiederbelebt? Oder passiert hier dasselbe wie an anderen Orten: die neuen, urbanen Milieus verdrängen das Alte? Schon ist die Rede davon, dass alteingesessene Bars die Mieten nicht mehr zahlen können.

Aber noch gibt es die alten Bars. Wenn du eine echte Institution erleben möchtest, empfehle ich Dino’s Las Vegas, 1516 Las Vegas Blvd. South, facebook die mit dem Schild “The last neighborhood bar in Las Vegas” wirbt. Die Bar ist so verrucht wie der Trinkteufel in Kreuzberg und Feuermelder in Friedrichshain zusammen. Der Laden hat die Patina von 40 Jahren Barbetrieb und ist so ungeschminkt, wie Las Vegas nur sein kann. Der Abend hier gab mir den Glauben zurück, dass Las Vegas mehr zu bieten hat als Fassade.

Und vielleicht liegt mein imaginäres Vegas genau hier. Hinter der Fassade. Das Vegas von Hunter S. Thompson. Der in “Fear & Loathing in Las Vegas” auf den Wahnsinn der Stadt eine weitere Ebene Wahnsinn setzte. Der schon in den 1960er Jahren die Absurdität dieser Stadt beschrieben hat. Und der sein Unbehagen mit dem Ort so gekonnt in Szene setzte:

„The decision to flee came suddenly. Or maybe not. Maybe I’d planned it all along – subconsciously waiting for the right moment.“
– Hunter S. Thompson

Hunter S. Thompson hat hauptsächlich den dystopischen Aspekt von Las Vegas beschrieben. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. In jeder Dystopie steckt auch eine verschüttete Utopie. Der Traum davon, die Wüste zum Leben zu erwecken. Die ur-amerikanische Idee des Pioniergeist. Und einen Ort, an dem die eigene Vorstellungskraft die letzte Grenze ist.

An Las Vegas reizen mich die Widersprüche. Das erkannte ich, als ich das andere Vegas gesehen habe. Die Hochglanzfassade am Strip. Und die graue Realität in den Blocks abseits. Das war genau das, das ich hier gesucht hatte.

Ich möchte nicht reisen, um am Spieltisch Geld zu verzocken. Ich reise, um die Wirklichkeit eines Ortes zu erfahren. Und als ich vor dem Schild “Gin & Peace” stand, war die diese Wirklichkeit für mich spürbar.

las_vegas_gin_and_peace

Und dann fand ich weiter draußen neben Trader Joe’s einen Second Hand Buchladen. Ich durchstöberte die Gedichte und entdeckte Allen Ginsberg und Walt Whitman. Neben mir standen die ganz normalen Einwohnern von Vegas auf dem Parkplatz, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Die Stadt wirkte hier draußen wie eine normale Großstadt der USA. Das Rauschen des Strips war weit weg. Hier draußen rauschte nur der Verkehr der breiten Ausfallstraßen.

Meine Reise geht weiter. Das nächste Mal werde ich weiter graben nach Teilen des anderen Las Vegas. Es steckt mehr in der Stadt als Kasinos. Man muss nur genau hinsehen. Ich möchte mehr über diese Stadt erfahren.

Und jetzt du: Las Vegas – Top oder Flop?

4 Replies to “Las Vegas für Leute, die Las Vegas hassen”

  1. Ist die Hochglanzfassade am Strip nicht auch eine Wirklichkeit? Die oberflächliche Realität eines Ortes? Und wenn uns diese Wirklichkeit nicht gefällt, suchen wir dann nicht solange nach etwas anderem, bis wir irgendwann, fündig geworden, zufrieden von dannen ziehen können? ?

    1. Schön gesagt! Ja, da habe ich wohl wirklich ein bißchen zu sehr auf Schein versus Realität abgezielt. Mal sehen, was sich da beim nächsten Besuch im Herbst noch so alles finden lässt.

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