„If you want to meet other young, western travelers, this place is not for you“ las ich vorgestern in einem Hostel-Review hier in der Stadt. Dieser Satz könnte so auch für ganz China gelten, für Xiamen aber auf jeden Fall.Im Nachtzug bin ich der einzige Laowei. Im Hostel bin ich der einzige Laowei. In ganz Xiamen… naja, ein paar wenige andere Westler oder Nicht-Chinesen gibt es schon, sie stellen aber die absolute Ausnahme dar. Die chinesischen Neuzugänge am zweiten Tag im Hostel sorgen sich dann auch um mich: „we thought you were lonely“. Ich werde zum Bus gebracht. Und dieses Mal es ist der Richtige. Bei Ankunft in der Stadt hatte ich nämlich die richtige Buslinie, aber die falsche Richtung erwischt. Irgendwann hinter dem Flughafen fällt mir mein Irrtum auf und bis ich mich im vollbesetzten Bus bis zum Ausgang durchgequetscht habe, vergehen weitere Stationen.
Ich lande an einer Art Autobahn, eingepfercht zwischen Hafengebieten und Expo-Gelände und ohne Bushaltestelle in Gegenrichtung. Am Horizont sind nur Hochstraßen und Brücken zu sehen. Als ich kilometerweit zurückgelaufen bin, scheitere ich an einer Brücke, die für Fussgänger gesperrt ist. Die Karte aus dem Reiseführer deckt den Teil hier nicht ab und ich habe keine Ahnung, ob ich überhaupt noch in Xiamen bin. Nach weiteren Kilometern in eine ander Richtung komme ich zurück in bewohntes Gebiet mit Bushaltestelle. Auf den Fahrplänen kann ich meine gewünschte Station nicht finden und auch von Bahnhof steht dort nichts. Der Busfahrer versteht mich nicht und grunzt nur, ich solle 2 Yuan einwerfen. Es ist letztenendes der richtige Bus und ich komme in der Innenstadt am Fährterminal an, genau da, wo ich hinwollte. Die Fahrt führte entlang der Hochstraße und ich hätte gleich vom Bahnhof das BRT nehmen sollen, das sind die Schnellbusse auf der Hochstraße. Wie in Ludwigshafen am Rhein, nur hier werden die Hochstraßen erst gebaut und nicht wegen gerontologischer Altererscheinungen gesperrt und abgerissen. Eine Erkenntnis: warum Xiamen so lebenswert sein soll, wie immer gesagt wird, erschließt sich mir nicht. No offense – aber ich nehme die Stadt wahr als die übliche chinesische Ansammlung von Shoppingmalls, Bankhochhäusern und Straßengeflechten.
Die Hauptattraktion hier ist die autofreie Insel Gulangyu vor der Küste der Stadt. Dorthin zugelangen ist etwas umständlich, denn die Fähre in der Innenstadt wurde für Touristen gesperrt. Die Stadt will den Strom von Besuchern auf 65.000 Personen täglich begrenzen und macht dafür die Anreise auf die Insel absichtlich kompliziert. Ja, richtig gelesen: 65.000. Und entsprechend voll mit Urlaubern ist dann die Stadt und die Insel.
Erst von Zhongshan Road mit dem Bus 51 in den Norden der Stadt an das International Ferry Terminal in Dongdu für 1 Yuan, von dort geht es dann für 50 Yuan (Rückfahrt inklusive) nach Gulangyu an das Neicuoao Pier. Das nennt man wohl Kurtaxe, denn dir alte Fähre lag preislich bei 8 Yuan. Und abschreckend wirkt die Maßnahme auch nicht, denn das Fährterminal ist voll. Und damit meine ich: brechend voll mit 1000 plus Leuten, und das mitten im März. In Gulangyu geht es dann genauso voll weiter: in einigen schmalen Gäßchen kommen einem wie eine Büffelherde im Stampede-Modus die Tourigruppen entgegen, erkennbar am Fremdenführer mit Headset und buntem Wimpel.
Eintritt wird auf der Insel fällig für das Erklimmen des höchsten Felsen (60 Yuan) oder den Besuch des Piano Museums. Oder für das Ansehen von Statuen. Das Kombiticket für 5 Attraktionen gibt es für 100 Yuan. Da ich heute und hier und für diese Attraktionen nichts ausgeben möchte, erfreue ich mich gratis an den alten Villen im Kolonialstil. Als ich in eine Gasse einbiege gibt es kaum noch Touristen. Und was ist das – Steintreppen ohne Markierung führen einen Hügel hoch. Es gibt hier tatsächlich einen zweiten, alten Gipfel, der erschlossen aber für den Tourismus aufgegeben wurde. Oben haben sich zwar einige Hecken und Bäume ausgebreitet, aber man hat immen noch einen fabelhaften Blick über die Insel und die Skyline der Hafenfront im 2km entfernten Xiamen. Und das mutterseelenallein, ohne die Horden, die sich auf der schmalen Aussichtsplattform des Gipfels quetschen.
Aber auch das wußte ich schon seit meiner letzten Reise durch China: Selbst an hochfrequentierten Orten findet man Bereiche, in denen man nahezu alleine ist. Zurück runter in die Gassen der Insel. Hier gefallen mir die alten Tunnel, die an einigen Stellen durch den Berg gehauen wurden. Und der Roman Ream.de des von mir geschätzten Neal Stephenson spielt in einigen Szenen auf der Insel, wie mir einfällt. Hinweise auf wilde Verfolgungsjagden und Hacker-Verstecke konnte ich aber nicht entdecken.
Interessant wäre hier noch die nahegelegene Insel Kinmen gewesen, die hoheitlich zu Taiwan gehört. Hier tobte der kalte Krieg lange und es wurden auf beiden Seiten neben Gefechtsstationen Lautsprechertürme aufgebaut um sich von Ufer zu Ufer im Propagandakrieg zu beschallen. Der Besuch ist nur mit multiple Entry Visa möglich, daher fällt er für mich aus.
Starbucks gibt es zwar auch, aber ich hänge lässig einem lokalen Cafe ab. Die nicht mehr ganz so jugendliche Bedienung hat deutlich sichtbare Zigarettenbrandlöcher auf dem Arm. Und eine andere Bedienung hat eine Punkerjacke an, aber auch das heißt hier wenig. Oder alles. Ich kann die Signifikanten nicht deuten, Subkultur drückt sich hier anders aus.
In dem Café hängt ein „Karten spielen verboten“ Schild. Warum nur? Ich gehe ins zweite Stockwerk, das von unten aus nicht eingesehen werden kann. Alle rauchen wie die Schlote – und zocken Karten. Das Publikum ist eher jünger, so Mitte 20 und die Hälfte sind Frauen. Auf der Straße hatte ich nur Trauben von Männern gesehen, die um Mahjong und Kartenspiele standen. Hier zocken auch Frauen mit.
Das hier ist die urtypische Kaffeehausatmosphäre, bevor Starbucks kam und den Spaß in eine familienfreundliche Version transformiert hat. Nun verpulvert man nicht mehr seine Zeit mit Coffee & Cigarettes (Filmtipp an der Stelle: der gleichnamige Film von Jim Jarmusch). Nein, man genießt ein hochklassiges Premiumprodukt, das einen fit für den Tag und die Arbeit macht. Ich rauche zwar nicht, aber gelegentlich zu erleben wie Kaffeehäuser einmal ausgesehen haben, belebt mich ungemein. Und das in China!
Die nächste Reiseetappe ist wieder ein ganz schönes Stück. Ich fahre die 900 Kilometer nach Hangzhou mit dem D-Train, den Schnellzügen. Der neue Bahnhof für diese Züge liegt weit außerhalb der Stadt und es gibt ein extra Bussystem auf Hochstraßen, das mich dort hin befördert.