Beim Reisen kann man manchmal wirklich Geschichten erleben. Und den eigenen Horizont erweitern. Auch wenn das anders aussieht, als man sich das so vorgestellt hätte. Bei einer Mitfahrt mit blablacar weiß man als geübter Mitfahrer schon im Vorfeld so in etwa, auf was man sich einlässt. Name, Alter, Abfahrtsort, Auto. Damit könnte ich die Person schon punktgenau in einem soziologischen Sinus-Milieu verorten.

Wenn ich je mal keine Lust auf Gespräche habe fahre ich am liebsten mit einem der Minibusse. Diese werden wie Linienbusse genutzt: man spricht eher wenig oder gar nicht miteinander. Beim Mitfahren im Auto ist das ja anders. Auf der Hinfahrt nach Berlin saß ich in einem Mercedes A-Klasse hinten, neben einem älteren DJ. Vorne saßen zwei aufgeweckte Alevitinnen, die allerhand Stories auf Lager hatten. Von Herzklinik bis Blumengroßmärkte in Holland. Dann trafen wir noch den Rapper Torch an der Raststätte in Thüringen, der zu seinem Gig abends im SO36 in Kreuzberg fuhr. Und mit dem die Fahrerin per Du war und sich gleich mal auf die Gästeliste setzen lies.

Auf der Rückfahrt dann ein ganz anderes Bild: Er, Arbeiter aus Brandenburg, Mitte 30, der im Kombi nach Süddeutschland pendelte. Sozusagen ein Arbeitsmigrant. Der, wie er erzählte, mit einer osteuropäischen Frau verheiratet war. Und – wie sich herausstellte – die Partei AfD sympathisch fand. Was soll man sagen? Mir fiel jedenfalls nichts ein. Und ich hörte mir mal an, was da so gesagt wurde. Da ich ansonsten nämlich keinen Kontakt mit AfD Wählern habe. Zero. Nada. Zip. Selbst in meiner Facebook-Timeline gab es bisher niemanden, der mit „die Ausländer sind schuld an [dummes Zeug hier einfügen]“ Äußerungen unangenehm auffiel.

Und da sind wir auch beim Problem. Im Unterschied zu früher habe ich heute so eine Ahnung davon, dass Gesellschaft und Demokratie auch immer Integration bedeutet. Und zwar nicht nur von Flüchtlingen, sondern auch von ostdeutschen Wutbürgern. Nur bringt das wenig weiter, wenn ich mir die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg ansehe. Dort gibt es ebensolche Wutbürger, die der AfD hohe Wahlergebnisse beschert haben. Es mag sein, dass die AfD im Westen anders auftritt und Wählerinnen und Wähler hier andere Motive haben. Aber sie ist und bleibt eine rassistische Partei.

Der Fahrer war nicht blöd und auch nicht ungebildet. Kein ungelernter Hilfsarbeiter, sondern Facharbeiter. Und auch kein Nazi. Sondern einfach nur das, was heute „rechts“ ist. Auf der Fahrt kamen nach und nach alle Vorurteile zur Sprache: mit Schwarzen hätte er schlechte Erfahrungen gemacht, die wolle er nicht mehr mitnehmen. Immer nur am Feilschen und stinkendes Essen essen. Generell Wirtschaftsflüchtlinge seien das Problem. Und man solle sich ein Beispiel an anderen Ländern nehmen, die nur christliche Flüchtlinge aufnehmen würden. Außerdem sollten dieses Jahr wieder eine Millionen Flüchtlinge kommen (die Zahlen stimmen nicht, siehe https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/flucht/218788/zahlen-zu-asyl-in-deutschland#Registrierungen). In Syrien würde nur in bestimmten Landesteilen Krieg herrschen, die anderen seien sicher.

Mir ist es schleierhaft, warum Leute solche Dinge denken. Ich glaube auch oder gerade nach einem Studium der Politikwissenschaften nicht mehr an Rationalität, Logik und Argumente im politischen Diskurs. Politik kommt aus dem Bauch, aus der Herkunft, aus soziodemographischen Merkmalen. Mit anderen Worten: im Kombi pendeln, in Süddeutschland als malochen, nebenher ein Häuschen in Brandenburg bauen. Das erklärt die AfD und ihre Wähler. Der Typ ist abgesichert mit 3 Renten und einem dicken Gehalt und kommt auf die fixe Idee, dass ihm syrische Bürgerkriegsflüchtlinge die Butter vom Brot nehmen wollten. Dabei könnte man auch darüber nachdenken, ob die nicht mal seine Rente zahlen werden.

Um nachdenken geht es aber nicht. Es geht um Unbehagen, wütend sein wollen, Verarmungsangst. Und gegen Angst ist kein Kraut gewachsen. Denn de facto gibt es immer weniger Gründe um Angst zu haben:

„From a historical perspective, it seems evident that humankind is actually enjoying the most peaceful and prosperous era ever. In the early twenty-first century, for the first time in history, more people die from eating too much than from eating too little; more people die from old age than from epidemics; and more people commit suicide than are killed by war, crime, and terrorism put together.“

http://www.newyorker.com/business/currency/does-trumps-rise-mean-liberalisms-end

Um Reisen ging es in unserer Unterhaltung auch. Auf Kuba war er schon mit Frau (im All-Inklusive-Urlaub). Ebenso fragte er mich nach der Weltreise und zu den einzelnen Reiseländern. Obwohl wir im gleichen Landen leben, andere Länder gesehen haben und im selben Auto sitzen haben wir doch eine völlig andere Sicht auf die Welt. Also ich war an dem Wochenende neugierig und setze mich auch ganz gerne fremden Kulturen aus: nämlich wütenden Autofahrern. Das hat mit meiner Lebensrealität ansonsten nämlich rein gar nichts zu tun.

Und ein Punkt fiel mir auf: Die türkische Fahrerin auf der Hinfahrt führte ihre Firma trotz schwerer, lebensbedrohlicher Krankheit und 2 Aufenthalten auf der Intensivstation weiter. Ohne sich zu beklagen. Auf der Rückfahrt dagegen ein einziges „die anderen sind schuld“: die Ausländer, die Regierung. Statt selbst etwas zu tun und etwa eine Firma zu gründen wurde nur gejammert und sich beschwert, dass die Regierung doch dies und jenes tun oder unterlassen solle. Etwa Arbeitsplätze für Deutsche schaffen. Arbeitsplätze entstehen aber dadurch, dass jemand eine Firma gründet. Und nicht den ganzen Tag über die Ausländer oder die Regierung zetert. Es muss in diesem Denken immer jemanden geben der Schuld ist – bloß nicht man selbst.

Für mich war diese Reiseepisode wirklich eine Erweiterung meines Horizonts. Ohne die Mitfahrt wäre ich diesen Menschen nie begegnet. Und genau das ist wichtig: sich der Realität auszusetzen. All dem, was da draußen passiert. Und offen dafür zu bleiben.

Trotzdem hoffe ich, dass die meisten Menschen nicht so wie der Fahrer meiner Mitfahrt denken und sich bei der nächsten Wahl für eine Partei entscheiden, die ohne Wut auskommt.

3 Replies to “Politische Deutschlandreise. Im Kombi der AfD auf großer Fahrt.”

  1. Die Integration von ostdeutschen Wutbürgern, lach, der ist auch gut… Ich wüsste auch nicht, wie ich da mit umgehen würde. Schweigen? Etwas sagen? Und wenn ja – erreicht man denjenigen überhaupt? (das ist eher zweifelhaft…) Nun protestieren die Menschen in Spanien für die Aufnahme von MEHR Flüchtlingen. Während man hier für das Gegenteil… tja. Schade eigentlich.

    1. Da ist die Polemik doch ein bißchen mit mir durchgegangen an der Stelle. Mir fiel genau da auf, dass die AfD ja auch hier in Mannheim ordentlich abgeräumt hatte mit Direktmandat und allem. Also auch nicht viel anders als in Bitterfeld. Aber ich habe Hoffnung – es sieht derzeit so aus, als würde Martin Schulz einen Großteil der Unzufriedenheit kanalisieren. Hoffe ich zumindest!

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